Nicht mit ihr

 

Sie schaut mit leerem Blick ins schwarz-weiße Wintergrün. Die Trostlosigkeit des Dezembertages lähmt ihre Glieder und ihre Stimmung. Lustlos beobachtet Karla aus dem Bett heraus die Regentropfen, die sich an wintermüde Äste klammern. Durch das geöffnete Fenster dringt feuchte Luft. Der Geruch von toter Erde, faulenden Pflanzen berührt sie auf eigenartige Weise. Sie fühlt sich,

als sei ihre Liebe mit düsteren Naturfarben in die Landschaft gemalt.

Schwerfällig rollt sie sich auf die Seite, setzt erst den rechten, dann den linken Fuß auf den kalten Holzboden.

Sie blickt zurück auf das nur halb aufgeschlagene Bett. Leo ist seit dem letzten Abend unterwegs, auf einen Absacker mit seinen Kollegen. Ihre Augen werden feucht. Nur nicht heulen.

Energisch wischt sie die sentimentalen Überreste aus den Wimpern, setzt sich ruckartig auf.

Scheiß Tag heute. Passt.

Karla fühlt sich zu gar nichts fähig. Am besten legt sie sich gleich wieder hin.

Trotzdem tappst sie erstmal auf nackten Füßen in die Küche. Cappucchino oder Ingwer-Tee?

Sie denkt an George. Muss unwillkürlich lächeln, obwohl ihr gar nicht danach ist.

Nein, kein Espresso! Aber Cappucchino ... Während die Maschine arbeitet, schaut sie auf traurig

anthrazitgraue Nägel. Der Lack ist (fast) ab. Es wird dringend Zeit für Veränderung.

Einen Neuanfang. Alleine? Oder mit ihm?

Auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer spiegelt sich eine fremde Frau und schaut sie fragend

und müde an. Worauf wartet sie eigentlich noch?

Die dampfende Tasse in der Hand, schaltet sie den CD-Player an. Klaviermusik ertönt.

Karla drapiert ein gemütliches, orangefarbenes Kissen ans Kopfende und greift sich ein beliebiges Buch

aus dem Regal über ihrem Nachtschrank. Unschlüssig steigt sie wieder unter die Decke,

schlägt das Buch auf. Aber sie findet keinen Anfang, keine Muße. Ihre Gedanken machen sich selbstständig,

klammern sich an ihren Blick, der den Weg nach draußen sucht. Die Glasscheibe des großen Fensters

stoppt ihre Sehnsucht. Töne in Moll liefern sich ein Rennen in Zeitlupe mit den Regentropfen,

die die dunklen Wolken bereits herausgewrungen haben.

Karla schüttelt den Kopf und reißt sich los von dem entmutigenden Bild. Jetzt!

Sie zwängt sich mit geschlossenen Augen und noch zaghafter Hoffnung durch den Spalt des geöffneten

Fensters und fliegt auf die Wolke, die ihr am nächsten ist.

Ihr Cappucchino wird kalt.

Sie wälzt sich hin und her, schlägt die Wolkendecke auf, um sich einzukuscheln. Ihre Gedanken

rattern wie Räder einer Dampfmaschine, Bilder entstehen, während Schweigen sie einhüllt.

Kreatives Schweigen …

Warum ist Leo so gleichgültig geworden in den letzten Monaten. Mit sich. Mit ihrer Beziehung.

Mit so vielem, fällt ihr jetzt erst richtig auf. Wahrscheinlich sitzen sie gerade auf Wolke 4.

Karla summt das Lied von Philipp Dittberner. Fast 14 Jahre verbindet sie beide jetzt.

Milder Winter hat ihre Liebe fest im Griff. Ist jetzt alles vorbei? Oder müssen sie sich nur aufraffen?

Verdammt! Sie ist erst 37! Und sie will mehr ... mehr von der Liebe. Und mehr vom Leben.

Aber mit Leo!

Zärtlich denkt sie an früher. Auf ihrer Wolke schwebt sie auf die Glücksinsel.

Meeresrauschen umspült ihre Seele und ihre gebräunten Füße. Ihre glitzerblauen Nägel graben sich

in den weichen Sand. Leos Hand schiebt sich in ihren Rücken, zieht sie an sich. Küsst sie zart

auf das kleine Grübchen neben ihrem rechten Mundwinkel.

Karla ist wieder hellwach! Ihre sensible Stelle unterhalb der Rippenbögen brennt wie Feuer. Ein Gefühl

von tiefer Liebe erwacht, als sie an den „alten“ Leo denkt. Der Himmel scheint auf einmal wieder rosa-bleu.

 

das morgen gestalten

sich küssen und halten

den regen fortsingen

herzblut einbringen

an unmöglichen orten

liebe

... mit zärtlichen worten

 

Mit Worten ... Ihre Erinnerungen werden immer deutlicher. Früher haben sie sich Briefe geschrieben,

in der ganzen Wohnung Liebeszettel versteckt. Kleinigkeiten mitgebracht. Warum konnte das nur

verloren gehen?

Sie wird ihm einen Brief schreiben. Leo heute Abend zu einem Urlaub auf ihrer Glücks-Insel einladen.

Nur geträumt. Gefühlt ein paar Tage. Einfach raus aus dem Alltag.

Lieben. Lachen. Träumen. Lachen. Lieben. Neue Pläne schmieden.

Ganz deutlich sieht Karla ihr Leben. Mit ihm! Wenn sie Leo mehr bedeutet als …

Sie schmunzelt in ihrem Wolkenbett.

Zupft hier und da an den weichen Kissen und bastelt eine 7 aus …

 

Wolke 4.

 

Anders -

nicht

mit

ihr!

Preisverleihung Wettbewerb/ Anthologie Weibergeschichten Juni 2017 - Plettenberg
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